Gavial
Die Geschichte von GAVIAL beginnt vor fast 15 Jahren als Projekt in Anlehnung an einen Nirvana-Song und aus einem Wortspiel als “Two Red Boys”. Drei Alben als TOURETTE BOYS, Kollaborationen, eine Split-EP folgen ebenso wie unzählige Gigs und Touren. Die Basis ist eine enge Freundschaft zwischen den Musikern, obwohl sie in verschiedenen Städten leben. Die weitläufigen und unberührten Landschaften zwischen Berlin und Dresden mögen ihren Anteil an der Inspiration für den Sound haben, dessen psychedelische Entrücktheit sich immer wieder in modernem Blues erdet und mehr an den Desert Rock erinnert, den wir aus den Weiten Arizonas kennen als an die urbane Hektik der Großstadt. Flirrende Soundlandschaften, dunkel und melancholisch, dann wieder hoffnungsvoll von gleißendem Licht und der wohligen, aber trotzdem Unheil verheißenden Hitze der Wüste erfüllt – darin sind GAVIAL wahre Meister.
Moment…GAVIAL? Tourette Boys? Wir haben 2023 und es ist Zeit für eine Zäsur. Und das auf gleich drei verschiedenen Ebenen. Mit VOR erscheint das insgesamt vierte Album der Band erstmalig nicht im Eigenvertrieb, sondern auf einem Label – Exile On Mainstream. Bereits zu den Aufnahmen 2022 wächst die Band vom Trio zum Quartett. Und mit diesem Schritt kommt eine überfällige Änderung des Namens, den die Band selbst mit den Worten erklärt:
“In den letzten Jahren haben wir jedoch häufig über unsere Musik, unsere Videos und unseren Namen diskutiert und versucht, über unsere Entscheidungen in dieser Zeit nachzudenken. Was den Namen der Band angeht, sind wir zu dem Entschluss gekommen, dass es nicht mehr angemessen ist, ihn weiter zu verwenden. Betroffene Menschen verdienen Respekt und wir denken, dass dieser Bandname einen Mangel daran zeigt. Dafür möchten wir uns entschuldigen. Deshalb werden wir nicht länger unter dem Namen “Tourette Boys” Musik machen. Stattdessen werden wir unsere musikalische Reise als ‘Gavial’ fortsetzen.”
VOR ist ein weiteres Mal gekennzeichnet von der Suche nach einem zeitgenössischen Ausdruck des Blues, ohne seine Authentizität infrage zu stellen. Mit dem Blick über den Tellerrand hin zu Ambient, Soul, Gospel und Country verweben GAVIAL verschiedene Fäden zu einem Klangteppich, der die scharfen Klippen redundanter Kategorien wie Retro oder Stoner einfach rechts liegen lässt. Namedropping hat die Musik zwar nicht nötig, aber wer im thematisch sortierten Plattenregal noch Platz schaffen will, kann gerne die Fächer, in denen Screaming Trees, Flying Eyes, Black Crowes oder Woodcocks stehen, etwas dichter packen, damit GAVIAL darin Platz finden. Alphabetisch sortiert macht VOR aber auch zwischen Gaffa Ghandi, Geraldine Fibbers und Giant Sand eine gute Figur.
Lyrisch sind GAVIAL verhalten konkret und erforschen die ambivalenten Tiefen der Seele, in denen es mehr Fragen als Antworten gibt. Dabei intoniert Sänger Benjamin Butter an Charles Baudelaire erinnernde lyrische Skizzen von Gemütszuständen zwischen Melancholie, leiser Wut und Hoffnung schleierhaft und macht die Stimme zu einem weiteren Instrument. Im Zusammenspiel mit treibenden Basslinien und Americana-haften Gitarren ergibt sich Musik wie sie sein soll: melodiös aber nicht profan, zugänglich, aber mit fragilem Boden. VOR wurde im Proberaum der Band aufgenommen. Der Mix entstand in Zusammenarbeit von Benjamin Butter und Bernard Camilleri, mit dem die Band seit 2016 aufnahmetechnisch eng zusammenarbeitet. Das Mastering entstand dann in Camilleris Xekillton Studio auf Malta. Das Artwork stammt aus der Serie “Flowers Of Terrible” des in Berlin lebenden Künstlers Hamid Yaraghchi.